Warum Ausbildungsschule der LiP werden?

oder: Was brauchen eigentlich die Waldorflehrer*innen von morgen?

Quelle: Christina Singer in der Schulzeitung der FWS Freiburg St. Georgen vom 16.12.2019, ergänzt von Michael Harslem

Waldorfschulen stehen 100 Jahre nach der Gründung der ersten Waldorfschule vor einem sehr großen Lehrermangel. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen vieler in den 70er -und 80er-Jahren gegründeten Waldorfschulen gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Ein Generationswechsel steht an.

Gut ausgebildete, fähige Lehrerinnen und Lehrer sind ein hohes Gut. Das wissen auch die staatlichen Schulen, die ebenso unter Lehrermangel leiden. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannte Generation Y – gut ausgebildete, gut vernetzte, gut informierte junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Wer sind diese jungen Menschen?

Zeichnen wir ein Klischee-Bild der Ypsiloner: Sie sind gut und oft mehrfach ausgebildet, suchen nach beruflichen Tätigkeiten mit hoher Selbstwirksamkeit und räumen gleichzeitig ihrem Privatleben einen großen Stellenwert ein. Sie wollen sich nicht auf bestimmte Lebensentwürfe festlegen, sind aber vielleicht bereits Eltern von kleinen Kindern, immer häufiger alleinerziehend. Sie sind souverän im Umgang mit Unsicherheiten und daher Meister im Improvisieren, was ihnen häufig als Unverbindlichkeit ausgelegt wird. Sie gründen Start-ups zu nachhaltigen Themen, arbeiten dabei lieber im Team als in Hierarchien und generieren ihre Überzeugungen nicht aus abstrakten Konzepten, sondern aus konkreten Erfahrungen. Lebenslanges Lernen ist für viele eine Selbstverständlichkeit. – Natürlich ist das eine Generalisierung. Auf die zwischen 1980 und 2000 geborenen Menschen meines privaten und beruflichen Umfeldes trifft diese Beschreibung jedoch in vielen Punkten zu.

Wie mag das Profil des Waldorflehrerberufes auf diese Menschen wirken? Und wie sieht es überhaupt aus? Auch hier sei mir eine grobe Skizze gestattet: Für viele Waldorflehrerinnen und Waldorflehrer hat ihr Beruf viel mit Selbstwirksamkeit, mit einem hohen Maß an gestalterischer Autonomie und dadurch auch mit großer Verantwortung zu tun. Es ist ein Beruf, der nicht nur äußerlich praktiziert, sondern auch innerlich gelebt werden muss, inspiriert durch ein umfassendes, spirituelles Menschenbild. Aber auch Einzelkämpfertum, unzählige Zusatzaufgaben und hohe Arbeitsbelastung gehören häufig dazu. Sie erleben wenig Ressourcenbewusstsein und eher unklare Führungsstrukturen in der Selbstverwaltung ihrer Schule. – Ist dieses Berufsprofil für die neue Lehrergeneration attraktiv?

Die Freie Waldorfschule Freiburg St. Georgen ist seit 2015 Ausbildungsschule des waldorfpädagogischen Ausbildungsprogramms LiP – Lehrerbildung in der Praxis. Diesem Konzept liegt die Leitidee zugrunde: Lehrerin, Lehrer wird man erst in der Begegnung und im Umgang mit Schülerinnen und Schülern. Es bietet daher eine Vollzeitausbildung in der Praxis an, in dem der zukünftige Lehrer / die zukünftige Lehrerin (Lehrer-Trainee) ein Jahr lang gemeinsam mit einem erfahrenen Lehrer / einer erfahrenen Lehrerin (Ausbildungsbegleiterin, Ausbildungsbegleiter) den Schulalltag gestaltet – und das vor allem im Team-Teaching. Es ist in allen Fächern/Fachkombinationen möglich. Begleitend finden 4-5 Mal jährlich Seminarmodule statt, in denen Lehrer-Trainee und Ausbildungsbegleiter in einer Gruppe Gleichgesinnter zu waldorf- und allgemeinpädagogischen Themen arbeiten, sich austauschen und Forschungsfragen entwickeln. Zwischen diesen Seminaren findet Austausch und Feedback in einer selbstgewählten Intervisionsgruppe (im Sinne eines Qualitätszirkels) an der Schule statt.

Diese 17 Kriterien in 5 Kompetenzfeldern für die Ausbildung von Lehrer-Trainees in der LiP sind allen Beteiligten von Anfang an bekannt, bilden die Grundlage für die Rückmeldungen am Ende der Abschlussprüfung und werden dann in diesem Kompetenzrad zusammengefasst. (0=nicht vorhanden – 5 voll ausgebildet)

Die anthroposophische Menschen- und Weltbetrachtung ist Grundlage der Ausbildung. Sie wird methodisch so angewendet, dass sie individuell erfahrbar wird und auf dieser Basis eigene Erkenntnisse möglich macht. Das lässt die angehende Lehrerpersönlichkeit sich stärken und reifen. Sowohl Ausbildungsbegleiter als auch Lehrertrainee erfahren und reflektieren anhand ihrer gemeinsamen Erfahrungen in der Praxis intensiv, was es bedeutet, Waldorflehrer zu sein und immer mehr zu werden. Übungen zur Anbindung an sich selbst und an die spirituelle Seite des Lebens wechseln sich ab mit der Wahrnehmung der Mitmenschen in sozial-künstlerischen Übungen und der inhaltlichen Arbeit. In einem differenziert ausgearbeiteten Curriculum werden Erfahrungsfelder und zu trainierende Kompetenzen klar beschrieben. Wichtigstes Prinzip dabei ist der Ansatz der Selbstausbildung: für das, was ich lernen und wozu ich mich ausbilden will, bin ich selbst verantwortlich. Ich bestimme selbst meinen Lernbedarf in der Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern, deren Eltern und den Kolleginnen und Kollegen.

Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung können die Schlüsselqualitäten sein, die junge Menschen für den Waldorflehrerberuf begeistern. Weitere wichtige Kompetenzen für den Waldorflehrerberuf wie erfahrungsbasiertes Lernen, Teamfähigkeit und achtsame Kommunikation sind für die neue Lehrergeneration oft schon eine Selbstverständlichkeit – im LiP-Programm werden sie aufgegriffen und weiterentwickelt. Durch die von LiP praktizierte forschungsbasierte Beschäftigung mit dem anthroposophischen Menschenbild können sich die Berufseinsteiger*innen ein solides Fundament für angemessene und zukunftsfähige pädagogische Impulse bauen.  

Derart ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer können im Waldorflehrerberuf ein hohes Maß an Zufriedenheit erleben. Als ressourcenorientierte Teamworker, die ihre Ideale durch sinnvolle Arbeitsprozesse und Entscheidungsstrukturen in die Tat umsetzen wollen, sind sie für jedes Kollegium eine Bereicherung.

Christina Singer (L), Michael Harslem

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